Testbericht verfasst von Motomobil
Der zweitaktende Piaggio Hexagon (als 125er, 150er und später als 180er) war 1993 Piaggios erster Einstieg in die Welt der tourentauglichen Maxiroller. Seither ist so einiges passiert.
Noch in den 1990ern folgte der Piaggio X9 zuerst als Viertellitermodell und bekam dann auch bald den halben Liter. Trotzdem wurde der Begriff „Maxiscooter“ aber vor allem durch Exponenten wie
Suzuki Burgman, Honda Silver Wing und auch Yamaha T-Max definiert.
2012 ist Piaggio mit einem mächtigen Gran Turismo wieder zurück: Der X10 mit den Hubräumen 125, 350 und 500 Kubik ist Piaggios bislang luxuriösester und modernster Beitrag zur
Welt der Großroller. Nach Österreich kommen ab dem Frühsommer die 350er- und die 500er-Version, und zwar ausschließlich in der Ausstattung mit
Antiblockiersystem und Traktionskontrolle. Der 350er (eigentlich 330er) besitzt den ganz neuen Piaggio-Einzylindermotor mit 24,5 kW (33,3 PS), der seit dem Winter auch die große Beverly antreibt.
Der Halbliter-Single mit Doppelzündung und 30 kW (40,8 PS) hingegen ist bereits seit X9-Zeiten bekannt. Dafür hat der X10 500 das etwas aufwändigere Fahrwerk: Die Vorspannung seines
Zentralfederbeins ist per Knopfdruck elektrisch verstellbar und der Telegabeldurchmesser beträgt 41 Millimeter, während der X10 350 mit Stereofederbeinen und einer 35er-Gabel das Auslangen
findet. Im Reiseroller-Umfeld liegen beide Modelle preislich attraktiv: Der 500er kostet 8599 Franken, aber besonders der 350er ist um 7599 Franken mit seinem moderneren Motor ein interessantes
Angebot.
Das auffällige Design polarisiert und es ist durchaus ein bisschen gewöhnungsbedürftig. „Fließend und elegant“ sagt Piaggio zur neuen Waveshape, tatsächlich erkennt man aus jedem Blickwinkel allerhand Wellenformen. Der Breitmaulfrosch wirkt aber sofort kantiger und viel dynamischer, sobald die beiden Abblendscheinwerfer und das LED-Tagfahrlicht eingeschaltet sind: Das etwas verquollene G’schau ist weg, mit den zwei viereckig leuchtenden Scheinwerfern (das Projektor-Fernlicht sitzt zentral in der Mitte) kommt der X10 fast sogar aggressiv daher. Die beiden schmalen LED-Rücklichter mit weit außen liegenden Blinkern sind ebenfalls sehr markant – auch von hinten ist der X10 ziemlich unverwechselbar. Die beim Cockpit, der Lenkerverkleidung und beim Bodywork verwendeten Materialien und Oberflächen wirken hochwertig, lediglich einige Gussgrate beim „motomobil“-Vorserienmodell waren noch nicht optimal. Ganz fein ist besonders die Farbvariante in changierendem weißem Perlmutt-Metallisée, die in den verschiedensten Tönungen schimmert.
Die Sitzprobe ergibt keinerlei Überraschungen, alles ist geräumig, bequem und liegt bestens zur Hand. Die Länge der beiden Trittbretter beträgt links und rechts je über einen Meter, wobei
die Fußflächen für Fahrer und Beifahrer ohne Kante ineinander übergehen und man somit unzählige Möglichkeiten für eine komfortable Beinstellung findet. Außerdem ist der Mitteltunnel schmäler als
der von Zweizylinder-Maxis, dadurch ist die Aufstellfläche für die Füße auch ein bisschen breiter als man es von den Twins gewohnt ist. Das mit seinen zwei Rundinstrumenten klassisch symmetrisch
gestylte Cockpit ist äußerst informationsreich. Piaggio lobt sich ganz besonders für das zentrale vierzöllige Digitaldisplay – allerdings zeigt es nicht mehr Bordcomputer-Infos als man es zum
Beispiel bei einem Gilera Nexus 500 im Jahr 2004 auch schon gehabt hat. Dafür sind als Roller-Neuheit die Lenkerarmaturen schön hintergrundbeleuchtet, was die Bedienung bei Nachtfahrten
erleichtert und überhaupt einen netten Eindruck macht. Unterhalb des Lenkers gibt es dann eine Leiste mit Knöpfen für die Sitzbank-Fernentriegelung, ASR-Deaktivierung, Warnblinkanlage und
Tankdeckelentriegelung.
Mit 216 Kilo fahrfertig (mit Öl/Batterie, ohne Treibstoff) ist der X10 350 gleich um 26 Kilo leichter als die 500er-Version. Dadurch hat der neue Motor keinerlei Mühe, den großen
GT an der Ampel druckvoll abzufertigen und rasch in Schwung zu bringen. Ab etwa 90, 100 km/h zieht der X10 natürlich davon, die Höchstgeschwindigkeit liegt immerhin bei 140
Stundenkilometer.
An der rechten Lenkerarmatur lässt sich ein Eko-Modus wählen, in dem das Mapping der elektronischen Treibstoffeinspritzung zugunsten eines niedrigeren Benzinverbrauchs verändert
wird, natürlich auch bei etwas geringerer Motorleistung. In der Praxis ist nach dem Umschalten der Leistungsverlust kaum spürbar – allerdings kann auch über die tatsächliche Treibstoffersparnis
wohl erst nach einem längeren Testzeitraum eine ernsthafte Aussage getroffen werden.
Unter der elektrisch entriegelbaren Sitzbank gibt es 52 Liter Laderaum. Das reicht locker für zwei Vollvisierhelme plus weitere Ausrüstung, zum Beispiel Regengewand
Dafür wissen wir schon nach der ersten Regenfahrt, dass das ASR, die Antischlupfregelung, bestens funktioniert: Auf nassem Kopfsteinpflaster, auf glitschigen Zebrastreifen und Kanaldeckeln
reagiert die Traktionskontrolle bei zu weit geöffnetem Gasgriff unmittelbar und regelt die Motorleistung ab. Man hört das lediglich am Auspuffgeräusch, ein Rucken oder gar ein Schlenker ist nicht
spürbar. Das System ist eine Piaggio-Eigenentwicklung und funktioniert auf Anhieb ziemlich perfekt. Auch das ABS ist gut abgestimmt: Die Regelung setzt recht spät ein und begünstigt somit
wirklich kurze Bremswege. Es ist ein Kombi- oder Verbundbremssystem (Combined ABS): Jeder der beiden Bremshebel betätigt in unterschiedlicher, abgestimmter Stärke sowohl die Vorder- als auch die
Hinterradbremse. Solange man nicht in Schräglage ist, kann man also ungeniert zu jedem Zeitpunkt voll in die Eisen greifen.
Obwohl er als geräumiger Gran Turismo konzipiert wurde, ist der X10 im dichten Stadtverkehr keineswegs fehl am Platz, sondern er fühlt sich spürbar wohl: Auch in ganz, ganz
langsamer Schleichfahrt kann er präzis und ohne Gefühl der Unsicherheit millimetergenau dirigiert werden, dann nimmt er spontan Tempo auf und ist von schnellen Fahrspurwechseln nicht überfordert.
Mit seinen 1625 Millimetern Radstand ist er natürlich kein Handlichkeitswunder. Zur Hochgeschwindigkeitstauglichkeit erklärt Piaggio, dass der X10-Stahlrahmen einen im Vergleich zu den
Mitbewerbern besonders hohen „Steifigkeitskoeffizient“ aufweist. Ein neuer Terminus, den wir noch ergründen werden. Der Fahrkomfort mit 15-Zoll-Vorderrad und 13-Zoll-Hinterrad liegt im Rahmen des
von Großrollern mit Triebsatzschwinge Gewohnten; die Grundabstimmung der Federkomponenten ist recht gemütlich. Das nicht immer ganz homogene Fahrverhalten aus vergangenen X9-Zeiten ist jedenfalls
Schnee von gestern.
52 Liter Volumen fasst der Gepäckraum unter der Sitzbank und ist damit für italienische Verhältnisse fast sogar großartig: Zwei Vollvisierhelme verschwinden ganz ohne mühsame
Schlichterei und lassen immer noch Platz für Gewand, Panino als Proviant für unterwegs oder andere Kleinteile. Die drei Handschuhfächer in der Vorderschürze sind einzeln nicht riesig, bieten
jedoch immerhin weitere sieben Liter Stauraum. Hier finden wir auch ein konventionelles 12-Volt-Outlet sowie einen zeitgemäßen USB-Stromanschluss. Über Enge auf der Sitzbank darf man ebenfalls
nicht klagen, die Fahrerrückenlehne ist verstellbar. Auch die gute Sicht nach hinten über die Rückspiegel will erwähnt werden. Und dass die Windschutzscheibe zwar recht schmal wirkt, dass aber
der Windschutz dennoch sehr gut ist.
Jetzt vorbeikommen, und sich auf einer Probefahrt überzeugen. Gerne zeigen wir Ihnen den Grossroller Neuling in unserem Showroom.
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